S-Bahn

Urteil Hessisches Landessozialgericht vom 22.02.2022, L 3 U 146/19

Mit Urteil vom 22.02.2022 hat das Hessische Landessozialgericht für einen Bahnmitarbeiter, der einen Gleissuizid während seines Dienstes live miterleben musste, eine posttraumatische Belastungsstörung als Folgen eines Arbeitsunfalls zugesprochen.

Die Vorgeschichte

Der Kläger war bei der Deutschen Bahn AG als Kundendienstmitarbeiter tätig. Während eines Einsatzes am Bahnsteig des Düsseldorfer Hauptbahnhofs hatte der Kläger einem Kunden Auskunft über einen Zug gegeben. Der Mann rannte los, als der Zug einfuhr und wurde von diesem überfahren. Nachdem der Zug angehalten hatte, fand der Kläger den zweigeteilten Leichnam des Mannes, dem er zuvor die Auskunft gegeben hatte.

Der zuständige Unfallversicherungsträger hatte eine vorübergehende akute Belastungssituation als Folge des Ereignisses, welches der Kläger miterleben musste, anerkannt. Dass zusätzlich die posttraumatische Belastungsstörung (kurz: PTBS) als Folge des Arbeitsunfalls anerkannt wird, wurde jedoch verneint, weshalb das sozialgerichtliche Klage- und Berufungsverfahren durchgeführt wurde.

Der Unfallversicherungsträger begründete seine ablehnende Entscheidung, dass der Kundendienstmitarbeiter lediglich zwei Wochen nach dem Ereignis arbeitsunfähig war und danach die Arbeit wieder aufnehmen konnte. Die vom Kläger beschriebenen Flash-Backs, Schlafstörungen und Albträume, mit denen die Fachärzte und Psychotherapeuten die PTBS bestätigten, sah der Unfallversicherungsträger – die Unfallversicherung Bund und Bahn – unabhängig von dem erlebten Suizidereignis während des Dienstes.

Der Kläger war bereits, bevor das Urteil des Landessozialgerichts gesprochen wurde, voll erwerbsgemindert.

Gericht bestätigt weitere Diagnose als Unfallereignis

Die Richter des Hessischen Landessozialgerichts konnten die Auffassung des Unfallversicherungsträgers nicht bestätigen und hatten mit Urteil vom 22.02.2022 unter dem Aktenzeichen L 3 U 146/19 die Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ als weitere Diagnose der Unfallfolge bzw. Folge des miterlebten Gleissuizids anerkannt.

In der Begründung der Entscheidung führten die Richter aus, dass sich die posttraumatische Belastungsstörung ohne das Miterleben des Gleissuizids nicht entwickelt hätte. Keine überragende Bedeutung haben konkurrierende Ursachen, die beim Kläger eingetreten sind, wie weitere Schicksalsschläge und der Tod des Bruders. Die weiteren in der Persönlichkeit und der Lebensgeschichte des Klägers begründeten Mitursachen sind dem Gericht als nicht überragend erschienen, sodass diese nicht als begründete Mitursachen angesehen werden konnten.

Die Entstehung der PTBS ist beim Kläger derart von dem Miterleben des Gleissuizids geprägt, dass diese dem Schutzzweck der Gesetzlichen Unfallversicherung zuzuordnen und damit als Diagnose infolge des Unfalls anzuerkennen ist.

Auch Bundessozialgericht bestätigte PTBS als Berufskrankheit

Auch das Bundessozialgericht bestätigte in einem anderen sozialgerichtlichen Klagefall, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung als Beerufskrankheit anzuerkennen ist. In diesem Fall ging es um einen Rettungssanitäter, dem ebenfalls bestätigt wurde, dass die PTBS als Berufskrankheit zu bestätigen ist. Die Richter des höchsten Sozialgerichts Deutschland führten aus, dass Rettungssanitäter traumatisierenden Ereignissen in einem erhöhten Ausmaß ausgesetzt sind und damit die PTBS als sogenannte „Wie-Krankheit“ und damit als Versicherungsfall der Gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen ist.

Das Urteil erging vom Bundessozialgericht am 22.06.2023 unter dem Aktenzeichen B 2 U 11/20 R. Näheres zu diesem urteil kann unter Berufskrankheit | Posttraumatische Belastungsstörung nachgelesen werden.

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