Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.01.2020, B 2 U 9/18 R
Bundessozialgericht ändert gängige Rechtsprechung – gesetzliche Unfallversicherung haftet nicht (mehr) für Unfälle bei Tankstopp
Grundsätzlich genießen Arbeitnehmer auf dem Weg von und zur Arbeit den Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Doch was auf den ersten Blick klar zu sein scheint, hat seine Tücken. Durch das aktuelle Urteil des Bundessozialgerichts wird die gängige Rechtspraxis zum Nachteil der Arbeitnehmer verändert und zugleich macht das Urteil deutlich, wie löchrig der vermeintliche Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung (UV-Schutz) ist.
Die Vorgeschichte
Eine Frau befand sich auf der direkten Wegstrecke von ihrer Wohnung zu ihrem Arbeitsplatz und war gezwungen einen Tankstopp einzulegen, da sie eine Strecke von 75 Kilometern vor sich hatte, das Benzin aber nur für 70 Kilometer ausgereicht hätte.
Nach dem Tankvorgang selbst wollte sich die Frau auf den Weg zur Kasse machen und rutschte dabei auf einem Treibstofffleck aus. Das Ergebnis des Geschehens war ein komplizierter Bruch des rechten Sprunggelenks. Da der Unfall auf dem Weg zur Arbeit geschah, wollte die betroffene Arbeitnehmerin Leistungen der Berufsgenossenschaft (BG) beanspruchen. Von der BG wurden jedoch Leistungen verweigert und darauf verwiesen, dass es sich nicht um einen Arbeitsunfall handeln würde, was dazu führte, dass die Frau vor Gericht zog. Letztlich mussten sich mit dem Rechtsstreit mehrere Instanzen beschäftigen.
BSG Urteil – kein Arbeitsunfall bei Tankstellenbesuch
Das Sozialgericht wies die Klage der Klägerin ab und das Landessozialgericht die Berufung ebenfalls. Auch die Revision führte nicht zum Erfolg. Laut BSG handelt es sich laut § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht um einen Arbeitsunfall, da das Tanken nicht im direkten Zusammenhang mit der Beschäftigung stand. Im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII handelte es sich auch nicht um einen Betriebsweg, da die Arbeitszeit bereits beendet war.
Sturz an Tankstelle wird nicht als Wegeunfall gewertet
Das Gericht sah in dem Sturz keinen versicherten Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, da nur ein Versicherungsschutz für das „Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit“ besteht.
Der Tankstopp wurde vom Gericht als nicht nur geringfügige Unterbrechung des Heimwegs angesehen. Vielmehr urteilte das Gericht, dass Tanken eine private Verrichtung sei und daher nicht der Versicherungsschutz der Wegeunfallversicherung greift. So stellt das Tanken eine grundsätzlich unversicherte Tätigkeit dar und ist auch nicht als versicherte Vorbereitungshandlung zu sehen.
BSG korrigiert bisher gängige Rechtsprechung
Bisher gestaltete sich die Rechtsprechung meist zugunsten der Arbeitnehmer und bei Unfällen während des Tankens konnten versicherte Arbeitnehmer darauf hoffen, dass der Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung griff. Doch das BSG hob in seinem Urteilstext deutlich hervor, dass mit dem Urteil die bisherige Praxis gekippt werde, was dazu führt, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung weiter eingeschränkt wird und dies zum Nachteil der Arbeitnehmer. Bisher war es gängig, dass Gerichte bei Unfällen im Rahmen eines notwendigen Tankstopps durchaus dazu geneigt waren zugunsten des Betroffenen zu urteilen. Dies dürfte zukünftig jedoch der Vergangenheit angehören.
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