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Urteil Bayerisches Landessozialgericht vom 01.07.2020, L 1 R 457/18

Mit der „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ können Versicherte eine abschlagsfreie Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze (diese liegt künftig beim vollendeten 67. Lebensjahr) in Anspruch nehmen, wenn sie eine Wartezeit (Vorversicherungszeit) von 45 Jahren nachweisen können.

Die Altersgrenze, ab der die Altersrente für besonders langjährig Versicherte beansprucht werden kann, wird derzeit auf das 65. Lebensjahr angehoben. Versicherte der Jahrgänge ab 1964 können diese abschlagsfreie Rente einheitlich ab dem vollendeten 65. Lebensjahr beanspruchen.

Eine Besonderheit, welche Zeiten konkret in die Wartezeit angerechnet werden können, stellen die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn dar. Liegen in diesem Zeitraum Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I vor, werden diese bei der Wartezeit nur dann berücksichtigt, wenn die Arbeitslosigkeit aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe oder einer Insolvenz des Arbeitgebers eingetreten ist. Das Bayerische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 01.07.2020 entschieden, dass auch Zeiten der Arbeitslosigkeit im Anschluss an eine Beschäftigung in einer Transfergesellschaft anzuerkennen sind.

Die Klage

Geklagt hatte ein Versicherter, der bei einer Aktiengesellschaft angestellt war. Diese Aktiengesellschaft hatte im November 2011 Insolvenz angemeldet. Das Beschäftigungsverhältnis wurde zum 31.01.2012 beendet, im unmittelbaren Anschluss daran war der Kläger noch bis 31.10.2012 in einer Transfergesellschaft beschäftigt. Danach war der Kläger arbeitslos und beantragte ab dem 01.07.2015 eine Altersrente.

Der zuständige Rentenversicherungsträger bewilligte ab 01.07.2015 nicht die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte, da die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren bzw. 540 Monaten nach dessen Auffassung nicht erfüllt gewesen ist. Dies deshalb, weil die Zeit der Arbeitslosigkeit nicht anerkannt wurde, da unmittelbar davor eine Beschäftigung in einer Transfergesellschaft erfolgte (und damit die Arbeitslosigkeit nicht aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe bzw. Insolvenz des Arbeitgebers eintrat).

Zeit der Arbeitslosigkeit wurde durch Landessozialgericht anerkannt

Mit Urteil vom 01.07.2020, Az L 1 R 457/18 gab das Bayerische Landessozialgericht dem Kläger Recht, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit in die Wartezeit von 45 Jahren eingerechnet werden muss. Dabei führte das Gericht aus, dass eine insolvenzbedingte Arbeitslosigkeit im Sinne des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 SGB VI auch dann erfüllt ist, wenn

  • nach einer eingetretenen Insolvenz des letzten Arbeitgebers eine Beschäftigung in einer Transfergesellschaft erfolgt,
  • nach der Beschäftigung in der Transfergesellschaft kein Beschäftigungsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber mehr aufgenommen wird und
  • der Insolvenzverwalter den Aufhebungsvertrag und den befristeten Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft unterzeichnet.

Die Richter des Bayerischen Landessozialgerichts hatten sich bei ihrer Entscheidung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezogen. Das Bundessozialgericht, das höchste Sozialgericht Deutschlands, hat bereits entschieden, dass der Arbeitslosengeldbezug insolvenzbedingt ist, wenn die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf einer Erklärung des Insolvenzverwalters beruht. In diesem Fall kann ein Missbrauch ausgeschlossen werden, welcher durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer entstehen könnte.

Wird eine befristete Beschäftigung in einer Transfergesellschaft ausgeübt, besteht ein Zusammenhang mit dem Bezug von Transferkurzarbeitergeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Damit ein Anspruch auf ein Transferkurzarbeitergeld besteht, muss noch ein Beschäftigungsverhältnis bestehen. Sollten ältere Arbeitnehmer nicht mehr weiter beschäftigt werden, nachdem der Arbeitgeber Insolvenz angemeldet hat, würde man diesen Personenkreis faktisch dazu zwingen, dass diese die insolvenzbedingte Kündigung abwarten, damit dann die anschließende Arbeitslosigkeit bei der Wartezeit berücksichtigt wird. Zudem würden die Betroffenen der politisch ausdrücklich erwünschten Möglichkeit beraubt, eine Anschlussbeschäftigung mit Hilfe der Förderungsmöglichkeiten in einer Transfergesellschaft zu finden und damit eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Fazit

Unter den o. g. Punkten wird daher bei der Wartezeit für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht nur eine Arbeitslosigkeit bei einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bzw. Insolvenz angerechnet. Auch die Zeit einer Arbeitslosigkeit im Anschluss an eine Beschäftigung in einer Transfergesellschaft wird bei der 45jährigen Wartezeit berücksichtigt.

Bildnachweis: © Andrey Burmakin

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