Tanken

Wann das Auftanken eines Kraftfahrzeugs gesetzlich unfallversichert ist

Ob das Auftanken eines Kraftfahrzeugs unter dem Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung steht, kann nicht pauschal beantwortet werden. So besteht in den meisten Fällen während eines Tankvorgangs, der an einer unmittelbar am Heimweg gelegenen Tankstelle erfolgt, grundsätzlich kein Unfallversicherungsschutz. Lesen Sie hier, welche Auffassung das Bundessozialgericht mit Urteil vom 11.08.1998 (Az. B 2 U 29/97 R) vertreten hat und wann Unfälle während des Tankens auch gesetzlich unfallversichert sind.

Was geschah...

Eine Kellnerin fuhr von ihrer Arbeitsstätte am Feierabend mit Ihrem Pkw nach Hause. Auf diesem Heimweg hat sie an einer unmittelbar an ihrem üblichen Weg von der Arbeit gelegenen Tankstelle getankt. Das Auftanken wurde deshalb nötig, da ihr Tank bereits fast leer war und sie bereits mit dem Reservekraftstoff fuhr.

Während des Tankens ist die Kellnerin auf dem Gelände der Tankstelle ausgerutscht, wobei sie sich eine Fraktur des rechten oberen Sprunggelenks zuzog.

Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte es jedoch ab, den Unfall als einen Arbeits- bzw. Wegeunfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen, da es sich bei dem Tankvorgang um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit handelte und das Nachtanken nicht unerwartet erforderlich geworden ist.

Die Kellnerin teilte die Auffassung der Berufsgenossenschaft nicht und führte als Begründung an, dass das Tanken deshalb erforderlich war, weil sonst der Sprit für den Arbeitsweg am nächsten Tag zur Arbeitsstelle nicht mehr gereicht hätte.

Gerichte hatten unterschiedliche Ansichten

Nachdem die Berufsgenossenschaft das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneint hatte, legte die Kellnerin Klage beim Sozialgericht ein. Die Richter des Sozialgerichts gaben der Kellnerin Recht und erkannten den Unfall als Arbeitsunfall der Gesetzlichen Unfallversicherung an. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung zum Landessozialgericht seitens der Berufsgenossenschaft hatte keinen Erfolg. Auch das LSG gab der Kellnerin Recht.

Die Berufsgenossenschaft legte Revision beim Bundessozialgericht ein.

Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das oberste Sozialgericht gab letztendlich der Berufsgenossenschaft Recht und hob die Urteile des Sozial- und Landessozialgerichts auf. Damit liegt bei dem Unfall auf dem Gelände der Tankstelle kein gesetzlich versicherter Unfall vor.

Das Bundessozialgericht führte mit Urteil vom 11.08.1998 aus, dass als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gilt. Das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hatte, muss jedoch in einem inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stehen. Das bedeutet, dass das jeweilige Verhalten der versicherten Tätigkeit zugerechnet werden kann.

Bei der Beurteilung, ob während des Tankvorgangs ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz vorliegt, ist folglich danach zu beurteilen, ob das private Handeln der Kellnerin zum Weg zu oder von der Arbeitsstelle gehört. Wenn dieser innere Zusammenhang jedoch fehlt, liegt kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz vor. Dies gilt selbst dann, wenn der Unfall auf bzw. an derselben Strecke passiert, den die Kellnerin auf dem Weg nach bzw. von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt.

Wird der Arbeitsweg aufgrund einer privaten Verrichtung unterbrochen, besteht der Versicherungsschutz nur dann, wenn die Unterbrechung nur als geringfügig anzusehen ist.

Kein Versicherungsschutz auf Tankstellengelände

Die Kellnerin hatte – so die Ausführungen des Bundessozialgerichts – jedoch keinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz mehr, nachdem sie ihren Arbeitsweg für das Auftanken ihres Autos verlassen hatte. Der Tankaufenthalt selbst stellt nämlich keine geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges dar. Dies gilt auch dann, wenn die Tankstelle unmittelbar an dem Arbeitsweg liegt. Der Tankvorgang kann nämlich nicht nur „im Vorbeigehen“ erledigt werden. Hier muss vielmehr ein vom Arbeitsweg abgegrenztes Tankstellengelände betreten bzw. befahren werden. Auch der Tankvorgang ist an den heute vorhandenen Selbstbedienungstankstellen durchaus aufwendig. Daher kann der Tankvorgang nicht als geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges angesehen werden.

Benzin geht überraschend aus

Die Richter führten in dem Urteil jedoch auch aus, dass ein Unfallversicherungsschutz nicht generell während eines Tankvorgangs ausgeschlossen ist. So ergibt sich dann eine andere Beurteilung, wenn während der Fahrt zur bzw. von der Arbeitsstätte das Tanken unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn entweder während oder erst nach Beginn der Fahrt schon der Reservetank in Anspruch genommen werden muss.

Diese Ausnahme liegt bei der Kellnerin jedoch nicht vor, da das Nachtanken nicht unerwartet erforderlich geworden ist. Dies deshalb, da sie – auch wenn sie bereits mit dem Reservetank fuhr – ihren Nachhauseweg ohne weiteres mit dem vorhandenen Benzin hätte zurücklegen können. Das Nachtanken wurde auch deshalb ausgeführt, um (erst) am nächsten Tag den Weg zur Arbeitsstelle zurücklegen zu können.

BSG hält im Jahr 2020 an älteren Rechtsprechungen nicht mehr fest

Am 30.01.2020 hat sich das Bundessozialgericht erneut mit der Frage nach dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz während eines Tankvorgangs beschäftigen müssen. Die Klägerin musste auf dem Nachhauseweg von Ihrem Arbeitgeber tanken und rutschte nach dem Tankvorgang auf einem Treibstofffleck aus. Dabei zog sie sich eine Sprunggelenksfraktur zu. Den Unfall hat das Bundessozialgericht mit Urteil unter dem Aktenzeichen B 2 U 9/18 R nicht als Arbeits- bzw. Wegeunfall anerkannt.

Nach der ständigen Rechtsprechung erkannte das Bundessozialgericht einen Unfall beim verbrauchsbedingten Auftanken auf dem Arbeitsweg als Arbeitsunfall an, soweit der Tankvorgang zum Erreichen des versicherten Endpunktes erforderlich war. Mit dem aktuellen Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 9/18 R stellt das höchste Sozialgericht Deutschlands klar, dass an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festgehalten wird.

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