Einkommensanrechnung

Die Hinterbliebenenrenten und die Einkommensanrechnung

Der Leistungskatalog der Gesetzlichen Rentenversicherung kennt eine Reihe an Hinterbliebenenrenten, welche geleistet werden können, wenn ein naher Angehöriger verstirbt. Neben dem seelischen Leid kommen dann auch die finanziellen Sorgen hinzu, welche sich durch das wegfallende Einkommen des Verstorbenen ergeben. Damit der Lebensunterhalt der Hinterbliebenen abgesichert wird, können Hinterbliebenenrenten geleistet werden. Die Hinterbliebenenrenten erfüllen damit eine Entgeltersatzfunktion. Diese Entgeltersatzfunktion läuft jedoch – zumindest teilweise – ins Leere, wenn die Hinterbliebenen selbst über ein eigenes Einkommen verfügen. Damit hier das Ziel der Renten nicht verfehlt wird, wird bei den Hinterbliebenenrenten eine Einkommensanrechnung durchgeführt. Durch die Einkommensanrechnung kann der Rentenanspruch minimiert werden oder sogar komplett entfallen.

Geschichtliches zur Einkommensanrechnung

Die Entstehung der heutigen Einkommensanrechnung reicht bis in die 1970er Jahre zurück. Die geänderte Rolle der Frauen im Berufsleben hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1975 zum Anlass genommen, den Gesetzgeber zu einer Anpassung der gesetzlichen Vorschriften aufzufordern. Nachdem die Frauen durch eine eigene Berufstätigkeit zunehmend auch eigene Rentenanwartschaften aufgebaut haben, musste das Recht der Hinterbliebenenrenten reformiert werden.

Das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (kurz: HEZG) hatte die erforderliche Reformierung umgesetzt. Seit Januar 1986 hatten Männer und Frauen unter gleichen Bedingungen einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente. Im Zuge dieser Reformierung wurde auch ein eigenes Einkommen der Rentenberechtigten bei der Hinterbliebenenrente angerechnet, soweit ein definierter Freibetrag überschritten wurde.

Von der Einkommensanrechnung betroffene Renten

Die folgenden Hinterbliebenenrenten sind von der Einkommensanrechnung betroffen:

  • Witwen- und Witwerrenten
  • Witwen- und Witwerrenten nach dem vorletzten Ehegatten
  • Witwen- und Witwerrenten an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten
  • Erziehungsrenten
  • Halb- und Vollwaisenrenten an Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben

Berechnung der Einkommensanrechnung

Trifft ein Einkommen mit einer Witwen-, Witwer-, Waisen- oder Erziehungsrente zusammen, wird dieses auf die Rente angerechnet. Allerdings kommt es nur dann zu einer Einkommensanrechnung, wenn ein gesetzlich definierter Freibetrag überschritten wird. Während des sogenannten Sterbevierteljahres bzw. der Sterbeüberbrückungszeit – das sind die ersten drei Monate nach dem Tod des Versicherten – kommt es generell zu keiner Einkommensanrechnung.

Die Einkommensanrechnung erfolgt in Höhe von 40 Prozent des den jeweiligen Freibetrag übersteigenden Einkommens.

Der Freibetrag

Der Freibetrag wird anhand des aktuellen Rentenwerts berechnet. Damit wird erreicht, dass der Freibetrag sich entsprechend den gesetzlichen Renten, welche immer zum 01. Juli eines Jahres dynamisiert werden, erhöht. Welcher Rentenwert (Rentenwert West oder Rentenwert Ost) berücksichtigt wird, hängt vom Wohnort des Hinterbliebenen ab.

Bei den Hinterbliebenenrenten beträgt der Freibetrag das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts. Dies bedeutet, dass der Freibetrag in den alten Bundesländern (Rechtskreis West) bis Juni 2022 bei (26,4 x 34,19 Euro) bei 902,62 Euro und ab Juli 2022 bei (26,4 x 36,02 Euro) 950,93 Euro liegt. In den neuen Bundesländern (Rechtskreis Ost) beträgt der Freibetrag bis Juni 2022 (26,4 x 33,47 Euro) 883,61 Euro und ab Juli 2022 (26,4 x 35,52 Euro) 937,73 Euro.

Bei den Waisenrenten, bei denen es ab dem vollendeten 18. Lebensjahr des Rentenberechtigten zu einer Einkommensanrechnung kommt, betrug der Freibetrag bis Juni 2015 das 17,6fache des aktuellen Rentenwerts. Der Freibetrag lag damit bis Juni 2015 bei (17,6 x 28,61 Euro) 503,54 Euro in den alten Bundesländern und bei (17,6 x 26,39 Euro) 464,46 Euro in den neuen Bundesländern. Ab dem 01.07.2015 kommt es bei den Waisenrenten zu keiner Einkommensanrechnung mehr!

Der Freibetrag wird erhöht, wenn der Rentenberechtigte ein Kind hat, das einen Anspruch auf eine Waisenrente hat und nur deshalb keinen Anspruch auf eine Waisenrente hat, weil es sich nicht um ein Kind des Versicherten handelt. Der Freibetrag wird in diesem Fall je Kind um einen Betrag des 5,6fachen des aktuellen Rentenwerts erhöht. Dieser zusätzliche Freibetrag liegt damit bis Juni 2022 bei (5,6 x 34,19 Euro) 191,46 Euro und ab Juli 2022 bei (5,6 x 36,02 Euro) 201,71 Euro. In den neuen Bundesländern liegt der zusätzliche Freibetrag bis Juni 2022 bei (5,6 x 33,47 Euro) 187,43 Euro und ab Juli 202 bei (5,6 x 35,52 Euro) 198,91 Euro.

Das zu berücksichtigende Einkommen

Als Einkommen, welches bei der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten berücksichtigt wird, gelten das Erwerbseinkommen, das Erwerbsersatzeinkommen, das Vermögenseinkommen und das Elterngeld.

Erwerbseinkommen in diesem Sinne ist das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung, das Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit und ein vergleichbares Einkommen. In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, dass ein Arbeitsentgelt, welches von einem Pflegebedürftigen an die Pflegeperson/Anspruchsberechtigten einer Hinterbliebenenrente geleistet wird, bei der Einkommensanrechnung unberücksichtigt bleibt, wenn durch dieses das Pflegegeld im Sinne der Sozialen Pflegeversicherung nicht überschritten wird.

Beim Erwerbsersatzeinkommen im Sinne der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten wird zwischen dem kurzfristigen und dem dauerhaften Einkommen unterschieden. Erwerbsersatzeinkommen ist das Einkommen, welches zum Ersatz des Erwerbseinkommens geleistet wird. Als kurzfristiges Erwerbsersatzeinkommen kennen die gesetzlichen Vorschriften u. a. das Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Arbeitslosengeld und das Übergangsgeld. Als Beispiele des dauerhaften Erwerbsersatzeinkommens sind die Alters- und Erwerbsminderungsrenten der Gesetzlichen Rentenversicherung zu nennen. Damit ein dauerhaftes Erwerbsersatzeinkommen bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt werden kann, muss es sich um eine Rente aus der eigenen Versicherung des Hinterbliebenen handeln. Hinterbliebenenrenten, die der Rentenberechtigte zusätzlich zu der Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung erhält, werden daher bei der Einkommensanrechnung nicht herangezogen.

Vermögenseinkommen wird seit dem Jahr 2002 bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt. Hierunter versteht man die Zins- und Gewinnanteile einer ausgezahlten Versicherungssumme, Kapitaleinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften.

Auch das Elterngeld wird seit dem Jahr 2007 (in diesem Jahr hat das Elterngeld das Erziehungsgeld abgelöst) bei der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten berücksichtigt.

Berücksichtigungsfähige Einkommenshöhe

Als Einkommen ist grundsätzlich immer das Netto-Einkommen bei der Einkommenshöhe heranzuziehen. Das Netto-Einkommen wird allerdings nicht anhand der individuellen Werte (also individuelle Steuerabzüge, individuelle Sozialversicherungsbeiträge), sondern pauschaliert berechnet. Je nach Einkommensart sehen die gesetzlichen Vorschriften einen pauschalen Abzug vom Brutto-Einkommen vor, mit dem das Netto-Einkommen errechnet wird.

So werden beispielsweise beim Arbeitsentgelt pauschal 40 Prozent und beim Arbeitseinkommen von Selbstständigen pauschal 30,5 Prozent in Abzug gebracht. Durch den Abzug der – je nach Einkommensart – unterschiedlichen Pauschalabzüge soll erreicht werden, dass ein relativ realistisches Netto-Einkommen berechnet werden kann.

Trifft eine Rente erstmals mit einem Einkommen zusammen, wird als Einkommen grundsätzlich das Einkommen des letzten Kalenderjahres herangezogen.

Ändert sich die Einkommenshöhe hinsichtlich des laufenden Einkommens, wird die Einkommensänderung (egal, ob es sich um eine Erhöhung oder Minderung handelt) zum nächsten 01. Juli berücksichtigt. Erreicht die Einkommensminderung allerdings mindestens zehn Prozent des bereits berücksichtigenden Einkommens, wird diese bereits zu dem Zeitpunkt an berücksichtigt, zu dem sie eingetreten ist.

Sollte das Einkommen komplett entfallen, wird die Rente mit diesem Zeitpunkt sofort in voller Höhe geleistet.

Beispiel:

Eine Witwe erhält nach dem Tod ihres Ehemannes eine Witwenrente in Höhe von monatlich 1.450,00 Euro. Die Witwe übt selbst eine Beschäftigung aus und erhält hier ein gleichbleibendes monatliches Gehalt in Höhe von 2.200 Euro. Darüber hinaus wird ein Urlaubsgeld in Höhe von 1.000 Euro und ein Weihnachtsgeld in Höhe von 2.000 Euro gewährt.

Die Witwe erzieht noch einen Sohn, der einen Anspruch auf eine Waisenrente hat.

Berechnung der Einkommensanrechnung:

Der Freibetrag beträgt für die Frau (bis Juni 2019) (26,4 x 32,03 Euro) 845,59 Euro. Dieser Freibetrag erhöht sich nochmals aufgrund dessen, dass ein Kind mit einem Waisenrentenanspruch vorhanden ist, um (5,6 x 32,03 Euro) 179,37 Euro. Damit hat die Witwe einen Freibetrag in Höhe von insgesamt 1.024,96 Euro.

Die Frau verfügt über ein durchschnittliches monatliches Brutto-Arbeitsentgelt von [(12 x 2.200 Euro + 1.000 Euro + 2.000 Euro) / 12 Monate] 2.450,00 Euro. Von diesem Brutto-Arbeitsentgelt werden pauschal 40 Prozent abgezogen, sodass sich ein pauschaliertes Netto-Arbeitsentgelt von (2.450,00 Euro abzgl. 40 Prozent) 1.470 Euro errechnet. Dieses Netto-Arbeitsentgelt übersteigt den Freibetrag mit einem Betrag in Höhe von (1.470 Euro abzgl. 1.024,96 Euro) 445,04 Euro. Dieser Betrag wird zu 40 Prozent, also in Höhe von (445,04 Euro x 40 Prozent) 178,02 Euro bei der Rente angerechnet.

Die monatliche Brutto-Rente wird also nicht in voller Höhe von 1.450,00 Euro, sondern nur noch in Höhe von (1.450 Euro abzgl. 178,02 Euro) 1.271,98 Euro geleistet.

Mehrere Rentenansprüche

Sofern ein Rentenberechtigter einen Anspruch auf mehrere Hinterbliebenenrenten hat, wird ein Einkommen im ersten Schritt auf die Waisenrente angerechnet, anschließend kommt es zu einer Einkommensanrechnung bei der Witwen-/Witwerrente und danach auf die Witwen-/Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten. Sollten mehrere Hinterbliebenenrenten beansprucht werden können, kann der oben beschriebene Freibetrag nicht für jede Rente gesondert geltend gemacht werden; der Freibetrag wird vielmehr nur einmal berücksichtigt.

Besteht ein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente sowohl aus der Gesetzlichen Renten- als auch aus der Gesetzlichen Unfallversicherung, ist ein Einkommen zunächst auf die Rente aus der Unfallversicherung anzurechnen. Sofern die Einkommensanrechnung in der Unfallversicherung so hoch sein sollte, dass diese gänzlich nicht mehr zur Auszahlung kommt, ist ein eventuell verbleibendes Einkommen auf die Hinterbliebenenrente der Rentenversicherung anzurechnen. Ein Freibetrag kann in diesem Fall nicht mehr berücksichtigt werden.

Übergangsregelungen

Das Recht der Einkommensanrechnung, welches im Januar 1986 eingeführt wurde, sieht noch einige Übergangsregelungen vor. Von diesen Übergangsregelungen sind allerdings nicht sämtliche Hinterbliebenenrenten betroffen. Hiervon werden nur die Witwen- und Witwerrenten, die Waisenrenten und die Witwen- und Witwerrenten nach dem vorletzten Ehegatten erfasst.

Bis zum 31.12.1988 konnten Ehegatten durch eine gemeinsame Erklärung wählen, dass für sie noch das bis 31.12.1985 geltende Rentenrecht Anwendung finden soll. Wurde diese Erklärung abgegeben oder ist der Ehegatte bis zum 31.12.1985 verstorben, kommt es bei der Hinterbliebenenrente zu keiner Einkommensanrechnung. Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch Witwerrente nach dem bis 31.12.1985 geltendem Recht.

Haben auch vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten eine entsprechende Erklärung abgegeben, kommt es auch zu keiner Einkommensanrechnung bei der „Witwen- und Witwerrente an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten“.

Sofern der Versicherte vor dem 01.01.1986 verstorben ist und  die Witwe oder der Witwer eine erneute Ehe eingegangen ist, welche aufgelöst oder für nichtig erklärt wurde, kommt es bei der Witwen-/Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten ebenfalls zu keiner Einkommensanrechnung.

Beratung durch Rentenberater

Das Recht der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten ist äußerst komplex und vielschichtig. Da eine Einkommensberechnung für die betroffenen Rentenberechtigten meist bedeutende finanzielle Auswirkungen hat, können in diesem Bereich registrierte Rentenberater alle Fragen zu dieser Thematik beantworten.

Die registrierten Rentenberater arbeiten unabhängig von den Rentenversicherungsträgern und führen die Beratung daher kompetent und neutral durch. Ebenfalls können die Rentenberater zur Durchsetzung der rechtlichen Ansprüche Widerspruchsverfahren und sozialgerichtliche Klageverfahren (Sozial- und Landessozialgerichte) durchführen.

Kontaktieren Sie mit Ihrem Anliegen rund um die gesetzlichen Renten den registrierten Rentenberater Helmut Göpfert.

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