Pflegestärkungsgesetz

Zweites Pflegestärkungsgesetz verabschiedet

Der Entwurf des zweiten Pflegestärkungsgesetztes (PSG II) wurde in der Sitzung des Bundeskabinetts vom 12.08.2015 verabschiedet. Durch die neuen gesetzlichen Regelungen sollen stufenweise ab 2016 sowohl der Pflegebedürftigkeitsbegriff als auch das Begutachtungsverfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit neu geregelt werden, wobei der Begriff der Pflegebedürftigkeit vollständig neu definiert wird. Die wichtigsten Punkte der neuen gesetzlichen Regelungen sind, dass ab 01.01.2017 die Umsetzung der bisherigen drei Pflegestufen in die fünf neuen Pflegegrade erfolgt und auch das neue Begutachtungsverfahren sowie die Erhöhung bzw. Neuordnung der Leistungsbeträge in der Pflegeversicherung umgesetzt werden.

Ab 2017 Beitragserhöhung

Das erste Pflegestärkungsgesetz ab 2015 brachte bereits enorme Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Das zweite Pflegestärkungsgesetz soll nun die Betroffenen mit höheren Leistungen und verbesserten Regelungen noch weiter unterstützen führte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aus. Höhere und bessere Leistungen müssen natürlich finanziert werden, was dann leider auch zu einer Beitragssteigerung führt. So erhöht sich der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ab 01.01.2017 um 0,2 Prozent auf dann 2,55 Prozent bei Versicherten mit Kindern und auf 2,8 Prozent für Kinderlose, kann dadurch aber bis ins Jahr 2022 beibehalten werden, so das BMG. Für die Pflegeversicherung bedeuten diese erhöhten Beitragsleistungen ein Finanzvolumen von ca. fünf Milliarden Euro mehr.

Pflegegrade ersetzen Pflegestufen

Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sollen die noch vorhandenen Fähigkeiten der Pflegebedürftigen sowie auch die Hilfen zum Erhalt von Selbstständigkeit neu erklärt und festgelegt werden. Zu diesem Zweck werden für alle Pflegebedürftigen verbindlich fünf neue Pflegegrade eingeführt, die die bisherigen drei Pflegestufen sowie die zusätzliche Feststellung von erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (besonders auch Demenz) ersetzen werden. Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz wurden bisher zusätzlich im Leistungskatalog eingestuft, dies wird zukünftig in das normale Leistungsrecht entsprechend eingegliedert.

Die neuen Pflegegrade

Die bisherigen drei Pflegestufen (zusätzlich Pflegestufe 0) erwiesen sich als nicht ausreichend, um alle Pflegebedürftigen gerecht und objektiv einzustufen. Zukünftig soll die Einstufung in fünf Pflegegrade erfolgen bei denen die körperlichen, geistigen und psychischen Einschränkungen zu gleichen Teilen erfasst werden. Sechs unterschiedlich gewichtete Bereiche dienen zukünftig bei der Begutachtung dazu, den Grad der Selbständigkeit zu beurteilen und in einer Gesamtbegutachtung entsprechend zusammenzufassen.

Aus den folgenden Kriterien erfolgt die Einstufung in den entsprechenden Pflegegrad:

  • Mobilität
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  • Selbstversorgung
  • Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  • Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Leistungen in Zukunft bereits früher

Das neue PSG II zielt auch darauf ab, zukünftig Leistungen bereits früher zu gewähren. So werden dann wesentlich mehr Menschen erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten als bisher. Pflegebedürftige die noch keinen erheblichen Unterstützungsbedarf haben, die aber zum Beispiel eine Anpassung des Wohnumfeldes (z. B. barrierefrei Zugänge, rollstuhlgerechte Türen etc.), eine Pflegeberatung oder für die allgemeine Betreuung Leistungen benötigen, werden künftig bereits in den Pflegegrad 1 eingestuft. Durch diesen früheren Leistungseinsatz wird in den kommenden Jahren ein Anstieg der Anspruchsberechtigten um ca. 500.000 geschätzt.

Für Pflegebedürftige die sich in einer vollstationären Pflegeeinrichtung befinden ist die Höhe der Leistungsbeträge nicht ausschlaggebend. Vielmehr kommt es hier auf die Höhe des Eigenanteils an, den diese selbst entrichten müssen. Bisher stieg dieser Eigenanteil mit der jeweiligen Zuordnung in eine höhere Pflegestufe. Dies ändert sich künftig. Der Eigenanteil bleibt immer gleich, das heißt mit zunehmender Pflegebedürftigkeit wird er nicht erhöht, was zu einer finanziellen Entlastung vieler Pflegebedürftiger führt. Der Eigenanteil ist für alle Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5 die sich in vollstationärer Pflege in einem Pflegeheim befinden gleich hoch. Unterschiedlich hohe Eigenanteile gibt es nur noch zwischen den verschiedenen Pflegeheimen. Man rechnet damit, dass der bundesdurchschnittliche Eigenanteil im Jahr 2017 ca. 580 Euro betragen wird. Dem sind dann noch die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen hinzuzurechnen, die sich aber auch zwischen den Pflegeheimen unterscheiden.

Folgende Leistungsbeträge werden ab dem Jahr 2017 gelten:

  PG I PG II PG III PG IV PG V
Ambulante Geldleistung 125,00 € 316,00 € 545,00 € 728,00 € 901,00 €
Ambulante Sachleistung   689,00 € 1.298,00 € 1.612,00 € 1.995,00 €
Stationäre Leistung 125,00 € 770,00 € 1.262,00 € 1.775,00 € 2.005,00 €

Hinweis: Abkürzung „PG“ steht für Pflegegrad!

Nahtlose Umsetzung

Die neuen Leistungen bzw. die Einstufung in die neuen Pflegegrade müssen von bereits pflegebedürftigen Leistungsbeziehern nicht nochmals beantragt werden. Es erfolgt vielmehr eine automatische Überleitung in das neue System. Das Bundesgesundheitsministerium gibt dazu an, dass von allen Versicherten, die bereits Leistungen beziehen, zusätzlicher Aufwand ferngehalten werden soll und die bisherigen Leistungen in gleichem Umfang weitergezahlt werden. In den meisten Fällen kommt es sogar zu höheren Leistungen.

Zur Umsetzung ins neue Verfahren kann man von einer Faustformel ausgehen. Pflegebedürftige, deren Einschränkungen ausschließlich im körperlichen Bereich liegen, erhalten automatisch den nächst höheren Pflegegrad zugewiesen. Hierzu zwei Beispiele:
Wer bisher in Pflegestufe I eingestuft war wird künftig in Pflegegrad 2 eingestuft, Pflegebedürftige der Pflegestufe III erhalten Pflegegrad 4. Pflegebedürftige deren Einschränkungen im geistigen Bereich liegen werden sogar in den übernächsten Pflegegrad übergeleitet. Pflegebedürftige in der bisherigen Pflegestufe 0 erhalten zukünftig Pflegegrad 2 zugewiesen und Pflegebedürftigen in der bisherigen Pflegestufe II mit zusätzlich eingeschränkter Alltagskompetenz wird der Pflegegrad 4 zugewiesen.

Noch weitergehend Leistungen

Zusätzlich zu den bereits aufgeführten Änderungen haben künftig alle Versicherten in einem stationären Pflegeheim künftig einen Anspruch auf weitergehende Betreuungsangebote. Die Pflegeeinrichtungen werden hierzu verpflichtet, zusätzliche Kräfte zur Betreuung der Pflegebedürftigen einzustellen und außerdem mit den Pflegekassen entsprechende Verträge auszuhandeln und abzuschließen.

Ein wichtiger Punkt im neuen Pflegestärkungsgesetz II ist aber auch zu verhindern, dass Menschen pflegebedürftig werden. Hierzu soll der Grundsatz „Reha vor Pflege“ weiter gefestigt und gestärkt werden. Um den Eintritt von Pflegebedürftigkeit hinauszuschieben oder sogar zu verhindern erhält der Medizinische Dienst den Auftrag, ein bundesweit einheitliches, gegliedertes Verfahren für Rehabilitationsempfehlungen zu verwenden.

Beitragszahlungen

Nicht nur bei den entsprechenden Leistungen sollen Verbesserung zugunsten der Pflegebedürftigen eingeführt werden. Die Pflegepersonen sollen auch durch höhere Beitragszahlungen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert werden. Wer einen Pflegebedürftigen mit dem Pflegegrad 2 bis 5 an mindestens zehn Stunden wöchentlich und an mindestens 2 Wochentagen zu Hause pflegt erhält dafür durch die Pflegekassen entsprechend Rentenversicherungsbeiträge eingezahlt. Die Rentenbeiträge erhöhen sich sogar um 25 Prozent, wenn ein Pflegebedürftiger mit außerordentlich hohem Unterstützungsbedarf, also Pflegegrad 5, durch seinen Angehörigen zu Hause gepflegt wird, außerdem steigen die Rentenbeiträge auch mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Die Verbesserungen bei den Beitragsleistungen betreffen zukünftig wesentlich mehr Menschen als bisher, denn es werden nun auch pflegende Angehörige eines ausschließlich Demenzkranken in der Rentenversicherung versichert.

Die neuen Regelungen umfassen aber nicht nur Beitragszahlungen zur Rentenversicherung, sondern auch zur Arbeitslosenversicherung. Wer die Pflege eines Pflegebedürftigen übernimmt und dazu sogar aus seinem bisherigen Beruf ausscheidet, erhält künftig für die gesamte Dauer der Pflegetätigkeit die vollen Arbeitslosenversicherungsbeiträge durch die Pflegeversicherung eingezahlt. Die Pflegeperson erwirbt dadurch auch einen Anspruch auf sämtliche Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Sollte nach Beendigung der Pflegetätigkeit ein Wiedereinstieg in den alten Beruf nicht nahtlos erfolgen können, besteht dann auch ein Anspruch auf Leistungen der aktiven Arbeitsförderung und auch Anspruch auf Arbeitslosengeld. Selbst wer bereits Arbeitslosengeld erhält hat hier einen Anspruch.

Höhere Qualität bei Information und Beratung

Durch das neue Pflegestärkungsgesetz II werden die Pflegekassen zukünftig qualifiziert zur verbesserten Beratung und zur grundsätzlichen Neustrukturierung von Information und Beratung verpflichtet. Hierzu sollen den pflegenden Angehörigen und ehrenamtlichen Pflegepersonen u. a. kostenlose Pflegekurse durch die Pflegekassen angeboten werden. Außerdem sollen die Pflegekassen mit den Pflegeberatungsstellen der Verbände und Kommunen im Rahmen verbindlicher Landesrahmenverbände künftig besser zusammenarbeiten.

Der Rahmen der neuen Regelungen umfasst aber auch einige Änderungen hinsichtlich Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung. Die Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Pflegegradfestlegung sollen künftig automatisch, also ohne vorherigen Antrag an die Betroffenen weitergeleitet werden, selbstverständlich besteht trotzdem die Möglichkeit eines Widerspruches. Außerdem sollen Empfehlungen des Medizinischen Dienstes zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung des Pflegebedürftigen sofort als entsprechender Antrag gewertet werden. Eine nochmalige Überprüfung durch Pflege- bzw. Krankenkasse ist dann nicht mehr nötig.

Der Gesetzgeber hat aber bei seinem umfassenden Regelwerk die Qualitätssicherung nicht außer Acht gelassen. Qualitätssicherung, -prüfung und -darstellung werden einer gründlichen Überarbeitung unterzogen wobei bei der Selbstverwaltung eine erhebliche Straffung der Entscheidungsstrukturen vorgenommen wird. Um effiziente Verhandlungen und Entscheidungen treffen zu können wird die Schiedsstelle zur Qualitätssicherung nach § 113 b SGB XI in einen Qualitätsausschuss umgewandelt. Dieser soll dann, mit Unterstützung einer qualifizierten Geschäftsstelle neue Verfahren von Qualitätsprüfung und -sicherung ausarbeiten und vereinbaren. Spezielle Merkmale zur Messung von Ergebnisqualität sollen besonders berücksichtigt werden, außerdem ist eine grundlegende Überarbeitung des Verfahrens zur Qualitätsdarstellung (sogenannter Pflege-TÜV) zwingend. Ein weiterer Auftrag geht hier auch an die Selbstverwaltung, die ein Konzept für die Qualitätssicherung in neuen Wohnformen (z. B. ambulante Wohngruppen) ausarbeiten und vorlegen müssen.

Die Stärkung der fachlichen Grundlagen der Arbeit in der Pflege sowie die Förderung und Erarbeitung neuer Konzepte in den Einrichtungen aber auch die Neudefinierung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind Herzstücke des neuen Pflegestärkungsgesetzes II. Durch diese Neuregelungen werden die Verantwortlichen auf Landesebene und auch die Pflegeeinrichtungen direkt gefordert. Die Anzahl des Pflegepersonals in den Pflegeeinrichtungen muss nun überprüft und an die Erfordernisse angepasst werden. Außerdem muss durch die Pflege-Selbstverwaltung ein wissenschaftlich fundiertes Personalbemessungssystem entwickelt, erprobt und evtl. eingeführt werden.

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