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Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz verabschiedet

Am 16.02.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz, kurz: „HHVG“) beschlossen. Mit dem Gesetz zur Heil- und Hilfsmittelreform wurden jedoch nicht nur die Leistungsbereiche „Heilmittel“ und „Hilfsmittel“ von der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgegriffen; auch viele andere Bereiche werden mit dem Gesetz geändert. Beispielsweise bringt das Gesetz auch Änderungen beim Anspruch auf Krankengeld, bei der Beitragserhebung von Selbstständigen, beim Risikostrukturausgleich (RSA) und beim Datenschutz. Eine Zustimmung durch den Bundesrat ist beim HHVG nicht erforderlich.

Bessere Versorgungsqualität bei Heil- und Hilfsmitteln

Die Heil- und Hilfsmittelversorgung durch die Gesetzliche Krankenversicherung nimmt einen immer wichtigeren Teil in einer älter werdenden Gesellschaft ein. Wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erklärte, müssen die Versicherten für die selbstbestimmte Bewältigung ihres Alltags bei Vorliegen von Einschränkungen die richtigen Hilfen erhalten. Zu diesen Hilfen gehören beispielsweise Hörgeräte, Rollstühle, Prothesen und Inkontinenzhilfen. Das nun verabschiedete Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz wird die große Bedeutung von Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen herausstellen. Ein weiteres Ziel ist die stärker an den Qualitätszielen ausgerichtete Hilfsmittelversorgung.

Die relevanten Inhalte des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes sind, dass der Spitzenverband Bund (GKV-Spitzenverband) verpflichtet wird, bis zum 31.12.2018 das Hilfsmittelverzeichnis vollständig zu aktualisieren. Hier kommt auf den GKV-Spitzenverband ein großes Arbeitsvolumen zu, da das Verzeichnis derzeit in 33 Produktgruppen untergliedert ist und insgesamt mehr als 29.000 Produkte enthält. Außerdem wird der GKV-Spitzenverband verpflichtet, bis zum 31.12.2017 eine Verfahrensordnung zur Sicherstellung der Aktualität des Hilfsmittelverzeichnisses zu beschließen. Darüber hinaus wird der GKV-Spitzenverband verpflichtet, einen Bericht über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen für die Hilfsmittelversorgung zu veröffentlichen; dies muss erstmals bis 30.06.2018 erfolgen, anschließend jährlich.

Die Krankenkassen müssen in Zukunft bei den Vergabeentscheidungen nach Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich neben dem Preis auch die qualitativen Anforderungen an die Produkte und die damit verbundenen Dienstleistungen beachten. Auch wenn die Hilfsmittelversorgungen im Zuge von Ausschreibungen zustande gekommen sind, müssen den Versicherten Wahlmöglichkeiten bei den aufzahlungsfreien Hilfsmitteln eingeräumt werden. Eine Ausschreibung der Hilfsmittel darf nicht erfolgen, wenn ein Hilfsmittel einen hohen individuellen Anpassungsbedarf hat.

Zu einer Neuregelung kommt es bei der Aufnahme innovativer Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis. Damit sollen die betroffenen Hilfsmittel von solchen Produkten besser abgegrenzt werden, welche noch eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorzunehmende Nutzenbewertung durchlaufen müssen. Wenn nach Auffassung des GKV-Spitzenverbands für ein Produkt eine Nutzenbewertung durch den G-BA erfolgen muss, weil dieses Bestandteil einer neuen Untersuchungs-und Behandlungsmethode ist, muss der G-BA dem GKV-Spitzenverband eine entsprechende Auskunft innerhalb eines halben Jahres erteilen. Sollte sich nach der Prüfung durch den G-BA herausstellen, dass das Produkt von einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode ein untrennbarer Bestandteil ist, wird das Bewertungsverfahren unmittelbar vom G-BA eingeleitet.

Die Krankenkassen werden verpflichtet, dass die gesetzlichen und vertraglichen Pflichten der Leistungserbringer eingehalten werden. Hierfür müssen die Leistungserbringer im Rahmen von Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen kontrolliert werden. Bis zum 30.06.2017 muss der GKV-Spitzenverband hierfür Rahmenempfehlungen zur Vertragskontrolle abgeben. Ebenfalls werden die Krankenkassen verpflichtet, die Beratung der Versicherten über die Rechte bei der Hilfsmittelversorgung zu verbessern. Die Krankenkassen müssen über die Vertragspartner und die relevanten Inhalte der bestehenden Verträge informieren, wenn für ein Hilfsmittel im Vorfeld eine Genehmigung eingeholt werden muss. Die Versicherten werden hierdurch in die Lage versetzt, die Hilfsmittelangebote der Krankenkassen zu vergleichen.

Die Sehhilfen werden von der Gesetzlichen Krankenversicherung nur noch im Ausnahmefall übernommen (s. Sehhilfen von der Krankenkasse). Durch das HHVG kommt es dahingehend zu einer Verbesserung bei der Versorgung mit Sehhilfen, dass diese künftig bei einer Kurz- oder Weitsichtigkeit übernommen werden müssen, wenn die Gläser eine Brechkraft von mindestens 6 Dioptrien benötigen oder die Gläser wegen einer Hornhautverkrümmung mindestens 4 Dioptrien erfordern.

Die Krankenkassen und deren Verbände können in den Jahren 2017 bis 2019 mit den Heilmittelerbringern auch Vergütungsvereinbarungen oberhalb der Veränderungsrate – dies ist die Summe der beitragspflichtigen Einnahmen aller GKV-Mitglieder – abschließen. Damit wird den wachsenden Anforderungen an die Heilmittelerbringer Rechnung getragen. Ebenfalls wird die Attraktivität der Therapieberufe (Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen) erhöht.

Mit den Heilmittelerbringer-Verbänden müssen die Krankenkasse Verträge über Modellvorhaben zur „Blankoverordnung von Heilmitteln“ abschließen. Im Rahmen dieser Blankoverordnung wird das Heilmittel – wie bisher – durch den Arzt verordnet. Der Heilmittelerbringer bestimmt dann aber die Auswahl, Dauer und Frequenz der Therapie. Durch diese Änderungen erfolgt eine stärkere Einbindung in die Versorgungsverantwortung der Heilmittelerbringer. Im Rahmen der Blankoverordnung wurden bereits zwei Modellvorhaben durchgeführt. Allerdings wird in jedem Bundesland noch ein Modellvorhaben benötigt, damit die Entscheidung über diese Versorgungsform für eine Überführung in die Regelversorgung geeignet ist.

Zu einer Weiterentwicklung kommt es durch das HHVG beim Präqualifikationsverfahren. Dieses Verfahren ermöglicht den Apotheken, orthopädietechnischen Betrieben, Sanitätshäusern und anderen Hilfsmittel-Anbietern den Nachweis der grundsätzlichen Eignung.

Beitragseinstufung bei Selbstständigen

Im Rahmen des HHVG kommt es auch zu Änderungen bei der Beitragseinstufung von Selbstständigen. Die Beitragsbemessung soll für freiwillig krankenversicherte Selbstständige entbürokratisiert werden. Nach dem Vorhaben wird die Beitragsbemessung zunächst nach dem Arbeitseinkommen und weiterer beitragspflichtiger Einnahmen, die starken Schwankungen ausgesetzt sind, auf Grundlage des letzten ausgestellten Einkommensteuerbescheids vorgenommen. Erst wenn der Einkommenssteuerbescheid für das Kalenderjahr vorliegt, für das die Beiträge zu zahlen sind, kommt es zur Festsetzung des endgültigen Beitrags. Mit den Änderungen soll die Beeinflussung der Beitragseinstufung durch evtl. lange Bearbeitungszeiten der Finanzämter vermieden werden.

Das Heil- und Hilfsmittelgesetz greift allerdings die Problematik nicht auf, dass es bei hauptberuflichen Selbstständigen teilweise zu einer finanziellen Überforderung kommt, weil die Mindestbeiträge – teilweise deutlich – oberhalb des tatsächlichen Einkommens liegen.

Upcoding

Die Codierung von Patientendiagnosen hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Finanzausgleich bei den Krankenkassen (sogenannter Morbi-RSA). Im Jahr 2016 war das „Upcoding“ ein negatives Thema, was die Gesetzliche Krankenversicherung betroffen hat. Beim „Upcoding“ wurden die Patientendiagnosen nachträglich geändert, sodass sich für die eine oder andere Krankenkasse positive Auswirkungen auf den Finanzausgleich ergeben haben (womit die anderen Krankenkassen benachteiligt wurden). Die Einflussnahme der Krankenkassen auf die vom Arzt gestellten Diagnosen soll nun der Vergangenheit angehören. Mit dem HHVG wird verboten, dass zusätzliche Vergütungen für Diagnosen in den Gesamt- und Selektivverträgen erfolgen können, die Krankenkassen eine Kodierberatung in Anspruch nehmen können und im Rahmen der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen nachträglich Diagnosen übermitteln können. Ebenfalls wird der Bestandsschutz bei Betreuungsstrukturverträgen eingeschränkt.

Versorgungslücke beim Krankengeld wird geschlossen

Beim Krankengeld wird eine Versorgungslücke dahingehend geschlossen, dass künftig keine zeitliche Lücke bei der Versicherungspflicht zwischen dem Ende einer Beschäftigung und dem Bezug von Arbeitslosengeld besteht. Der Beginn der Versicherungspflicht wird vorgezogen, sodass schon ab dem ersten Tag der Sperrzeit oder einer Urlaubsabgeltung ein Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Krankenversicherung besteht, aus dem ein Krankengeldanspruch realisiert werden kann.

Datenschutz

Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz bringt auch eine neue Richtlinie zum Schutz von Sozialdaten. Damit soll neuen Datenpannen bei den Krankenkassen vorgebeugt werden. Sicherheitslücken bei Online-Portalen von einzelnen Krankenkassen haben den Gesetzgeber zu der Richtlinie veranlasst. Der Datenschutz war unter anderem aufgrund einer unzureichenden Sicherheit bei der Authentifizierung bei elektronischen und telefonischen Anfragen nicht hinreichend gegeben.

Die Krankenkassen werden mit dem HHVG und der neuen Datenschutzrichtlinie verpflichtet, geeignete Schutzmaßnahmen beim Kontakt mit dem Versicherten einzuhalten. Diese Schutzmaßnahmen beschreibt die neue Datenschutzrichtlinie.

Krankenversicherung der Rentner

Bei der „Krankenversicherung der Rentner“ (KVdR) können künftig pro Kind pauschal drei Jahre auf die Vorversicherungszeit für die KVdR angerechnet werden. Durch diese Änderung wird der Zugang zur KVdR für Ehegatten und Lebenspartner verbessert, wenn diese die Betreuung von Kindern in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens unterbrochen haben und in dieser Zeit auch nicht gesetzlich krankenversichert waren. Bislang konnten die Ehegatten und Lebenspartner, die Kinder erzogen haben, nicht in die im Regelfall günstigere KVdR gelangen, weshalb dieser Personenkreis benachteiligt war.

Bildnachweis: © Erwin Wodicka

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