Urteil

Kostenübernahme für neue Behandlungsmethoden

Am 06.12.2005 hatte das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde entschieden. Da dieser Beschluss am 06. Dezember – also am Nikolaustag – erfolgte, wird das Urteil oftmals als „Nikolausurteil“ bezeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht musste über die Frage entscheiden, wann eine gesetzliche Krankenkasse die Kosten für neue Behandlungsmethoden übernehmen muss. Das Nikolausurteil, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erging unter dem Aktenzeichen 1 BvR 347/98.

Hintergrund

Die Verfassungsbeschwerde hatte ein 18-Jähriger eingelegt, der an der Duchenne´schen Muskeldystrophie leidet. Diese Krankheit tritt äußerst selten und nur bei männlichen Versicherten auf. Die Häufigkeit wird mit 1 zu 3.500 beziffert. Die Duchenne´sche Muskeldystrophie tritt bereits in den ersten Lebensjahren auf und manifestiert sich dann in den ersten Lebensjahren. Die Krankheit schreitet dann derart fort, dass zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr damit zu rechnen ist, die Gehfähigkeit zu verlieren. Ebenfalls tritt eine zunehmende Ateminsuffizienz auf. Funktions- und Bewegungseinschränkungen und eine Wirbelsäulendeformierung sind ebenfalls die Krankheitserscheinungen der Duchenne´schen Muskeldystrophie. Auch eine Herzmuskelerkrankung ist im Rahmen dieser Krankheit wahrscheinlich. Insgesamt ist bei dem Krankheitsbild von einer stark eingeschränkten Lebenserwartung auszugehen.

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund seiner Krankheit von einem Facharzt für Allgemeinmedizin behandelt. Die Behandlung erfolgte mit homöopathischen Mitteln, Thymuspeptiden, Zytoplasma und hochfrequenten Schwingungen. Für die Behandlung wurden von den Eltern des Erkrankten bereits Kosten in Höhe von 10.000 DM aufgewandt.

Die zuständige Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme der Behandlungskosten, die die Eltern bezahlen musste, ab. Als Begründung wurde angeführt, dass ein Therapieerfolg der in Anspruch genommenen Behandlungsmethode wissenschaftlich bislang nicht nachgewiesen ist. Gegen die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse klagte der Erkrankte, zumal eine behandelnde Ärztin und die Orthopädische Klinik einer Technischen Hochschule aufgrund der angewandten Behandlungsmethode einen günstigen Krankheitsverlauf bestätigten. Bis vor das höchste Sozialgericht blieb der Klageweg allerdings ohne Erfolg; das Bundessozialgericht bestätigte in letzter sozialgerichtlicher Instanz die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse. Daher wurde beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Krankenkasse muss die Kosten übernehmen

Die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht war erfolgreich. Mit Beschluss vom 06.12.2005 (Az. 1 BvR 347/08) entscheid das Gericht, dass die Krankenkasse in dem Beschwerdefall die Kosten für die beantragte Krankenbehandlung übernehmen muss und die Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht mit dem Grundgesetz im Einklang steht.

Konkret bemängelte das Gericht, dass die Weigerung der Kostenübernahme nicht mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie sie das Grundgesetz in Artikel 2 Absatz 1 vorsieht, und mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar ist.

Unter bestimmten Voraussetzungen werden Personen in der Gesetzlichen Krankenversicherung der Versicherungspflicht unterworfen. Für die zu leistenden Beiträge werden die notwendigen Krankenbehandlungen zugesagt. Daher kann ein Versicherter nicht auf die Finanzierung einer Behandlungsmethode außerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung verwiesen werden, sofern eine schulmedizinische Behandlungsmethode für die lebensbedrohliche oder sogar regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit nicht vorliegt. Damit die Gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für die außervertraglichen Leistungen übernehmen muss, ist allerdings erforderlich, dass sich durch die gewählte Behandlungsmethode eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ ergibt. Sollte dies nicht der Fall sein, muss zumindest eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Behandlungsmethode möglich sein. Da die Ärzte des Beschwerdeführers dies bestätigt haben und für die Behandlung der Duchenne´schen Muskeldystrophie keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, müssen seitens der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse die Kosten für die außervertraglichen Leistungen übernommen werden.

Die Auffassung des Bundessozialgerichts ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auch nicht mit der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr vereinbar. Da der Staat mit dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem die Verantwortung für das Leben der Versicherten und deren körperlichen Unversehrtheit übernimmt, so erfasst der Kernbereich der Leistungspflicht auch die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung.

Die Sozialgericht haben daher in Streitfällen zu prüfen, ob es einen nicht ganz entfernt liegenden Heilungserfolgt oder eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gibt, wenn der behandelnde Arzt dies bei einer vorgenommenen Behandlung bestätigt oder zu diesem Ergebnis nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung für eine beabsichtigte Behandlung kommt.

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