Rechtsprechung Bundessozialgericht

Speedy-Bike wird von Krankenkasse bezahlt

Mit Urteil vom 18.05.2011 hat das Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 3 KR 7/10 R in letzter Instanz über einen Rechtsstreit entschieden, in dem das Sozialgericht und das Landessozialgericht zu unterschiedlichen Auffassungen kamen. In dem Klagefall ging es um die Kostenübernahme für einen Elektrorollstuhl – um ein sogenanntes Speedy-Bike – welches von der Krankenkasse abgelehnt wurde. Die Richter des höchsten Sozialgerichts Deutschlands kamen nun zu der Auffassung, dass die Krankenkasse in dem Einzelfall die Kosten für den beantragten speziellen Rollstuhl übernehmen muss. Mit dem Urteil wird jedoch auch verdeutlicht, dass nicht jeder Antrag eines Versicherten auf ein bestimmtes Hilfsmittel pauschal abgelehnt bzw. befürwortet werden darf; vielmehr muss jeder Einzelfall genau betrachtet und beurteilt werden.

Der Klagefall

In dem zu entscheidenden Fall hatte die im Jahr 1987 geborene Klägerin ein Rollstuhlbike beantragt. Da sie an einer Spaltwirbelbildung der Wirbelsäule leidet, wird eine Querlähmung verursacht, die ihre beiden Beine in Mitleidenschaft zieht. Im Januar 2006 erfolgte dann bei der zuständigen Krankenkasse ein Antrag auf ein Rollstuhlbike. Dabei handelt es sich um eine am Rollstuhl angebrachte Zugvorrichtung. Mittels dieser Zugvorrichtung kann der Rollstuhl dann mit einer Handkurbel bedient werden. Die Handkurbel ist mit einer Kette mit den Vorderrädern verbunden, durch die dann die Energie übertragen wird.

Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für das beantragte Rollstuhlbike ab, da die Versicherte nach Auffassung der Kasse mit einem Aktivrollstuhl ausreichend versorgt ist. Mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl kann sich die Versicherte – so die Ausführungen der Krankenkasse -  im Nahbereich ihrer Wohnung bewegen. Die Bestätigung des behandelnden Arztes, dass durch das Bewegen eines herkömmlichen Rollstuhls die Schultern und die Ellenbogen der Versicherten in Mitleidenschaft gezogen werden, ließ die Krankenkasse zu keiner anderen Auffassung kommen.

Aufgrund der ablehnenden Haltung der Krankenkasse legte die Versicherte Klage beim zuständigen Sozialgericht ein, welches die Krankenkasse zur Kostenübernahme für das beantragte Rollstuhlbike verpflichtete. Gegen dieses Urteil ging die Krankenkasse in Berufung. Das zuständige Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen gab mit Urteil vom 26.06.2010 unter dem Aktenzeichen L 16 KR 45/09 der Krankenkasse Recht und verneinte die Kostenübernahme für das Speedy-Bike durch die Krankenkasse (s. auch: LSG verneint Anspruch auf Elektrorollstuhl). Das Urteil des Landessozialgerichts fand große Aufmerksamkeit, weil sich die Richter erstmals zum Nahbereich eines Versicherten geäußert haben. Dabei kamen die Richter zu der Auffassung, dass der – gesetzlich nicht definierte – Nahbereich einen Radius von 500 Metern hat. Das bedeutet, dass nach Auffassung des Landessozialgerichts die Versorgung mit einem herkömmlichen Aktiv- oder Greif-Rollstuhl ausreichend ist, wenn sich mit diesem die Versicherte innerhalb eines Radius von 500 Metern bewegen kann. Erst wenn das nicht mehr der Fall ist, ist eine Versorgung mit einem speziellen Rollstuhl indiziert. Daher lehnte das Landessozialgericht die Kostenübernahme für das Speedy-Bike ab. Die Versicherte ging daher in Revision, weshalb das Bundessozialgericht über den Leistungsantrag entscheiden musste.

BSG-Urteil, Aktenzeichen B 3 KR 7/10 R

Mit Urteil vom 18.05.2011 wurde der Versicherten unter dem Aktenzeichen B 3 KR 7/10 R schließlich der beantragte Elektrorollstuhl bewilligt. Das Bundessozialgericht vertrat die Auffassung, dass die Klägerin das Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit nur mit dem beantragten Hilfsmittel befriedigen kann. In dem Urteil ging das Bundessozialgericht auch auf den vom Landessozialgericht festgelegten Bewegungsradius ein und bezeichnete die festgelegte Strecke von 500 Metern als verfehlt. Dazu wird in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass seitens der Gesetzlichen Krankenversicherung eine Garantie der Mobilität im Nahbereich gegeben sein muss. Innerhalb dieses Nahbereichs sind die unterschiedlichsten Aufgaben zu erledigen. Beispielsweise müssen in diesem Nahbereich Einkäufe und Bankgeschäfte erledigt und Ärzte und Therapeuten aufgesucht werden und es wird innerhalb dieses Nahbereichs die Freizeitgestaltung vorgenommen. Da diese Notwendigkeiten äußerst unterschiedlich sind, ist eine Festlegung auf eine bestimmte Strecke bzw. einen bestimmten Radius nicht möglich.

Von einer Rollstuhlfahrerin können die Strecken, die ein Nicht-Behinderter zu Fuß zurücklegt, durchaus mit einem herkömmlichen Rollstuhl zurückgelegt werden. Allerdings kann nur dann von einer problemlosen Beweglichkeit ausgegangen werden, wenn das Zurücklegen der Wegstrecken ohne Schmerzen und ohne fremde Hilfe möglich ist. In dem vom Bundessozialgericht zu beurteilenden Fall besteht für die Klägerin bei Bedienen eines herkömmlichen Rollstuhls die Gefahr von schmerzhaften, degenerativen Veränderungen der Schultern und der Arme. Aufgrund dieser besonderen Umstände muss daher die beklagte Krankenkasse die Kosten für das beantragte Speedy-Bike übernehmen.

Mit dem Urteil wurde der Elektrorollstuhl vom Bundessozialgericht genehmigt.

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